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Nathalie Meyer war seit 1. Februar 2015 Mitglied im UFSP Sprache und Raum.
Abstract
Ziel der Dissertation ist es, eine qualitative linguistische Analyse von Live-Webcasting-Beiträgen anhand einer Fallstudie zweier Twitch Streamer und deren Übertragungen durchzuführen. Ebenfalls sollen Fragen und Konzepte des Raumbezugs, der Raumnutzung und der Raumüberlagerung in die Analyse mit einbezogen und auf das relative junge Genre des Live Webcastings angewandt werden.
Die Technologie des Live-Medien-Streaming hat in den letzten Jahren vor allem aufgrund neuer Plattformen und Möglichkeiten zur Liveübertragung grosser E-Sports Events und privater Video Game Sessions an Popularität gewonnen (Hamilton et al. 2014). Nebst YouTube Live bietet dabei vor allem die Plattform Twitch ihren Usern die Möglichkeit, ihre Gaming-Erlebnisse unmittelbar an ein potentiell grosses Publikum zu übertragen. Diese Plattform, zunächst eine Unterkategorie der allgemein-thematischen Live-Streaming-Seite Justin.tv, startete im Juni 2011 als eigenständige Webseite aufgrund der immer grösser gewordenen E-Sports-Gemeinschaft.
Zu den wenigen Studien, die bisher veröffentlich worden sind, gehört beispielsweise jene von Cheung und Huang (2011), die sich mit Fragestellungen bezüglich des Publikums grösserer E-Sports-Veranstaltungen beschäftigt. Die Autoren haben in ihrer Untersuchung die Rollen der physisch anwesenden Zuschauer im Rahmen solcher Events analysiert und diese schliesslich in neun so genannte „spectator categories“ unterteilt. Smith et al. (2013) knüpfen zwei Jahre später an diese Ergebnisse der Zuschauerrollen an und zeigen in ihrer Arbeit anhand ausgewählter Beispiele verschiedener Communities auf, dass sechs dieser neun Rollen durchaus auch auf die physisch absenten Zuschauer der Plattformen Twitch und YouTube übertragbar sind. Eine neuere Studie von Hamilton et al. (2014) befasst sich schliesslich mit der Entstehung von Online Communities rund um einen Streaming Channel und die Autoren liefern durch ihre ethnografische Herangehensweise mittels Beobachtung und Interviews Argumente dafür, dass Twitch als „third place“ in Oldenburgs Sinne angesehen werden kann, also als ein öffentlicher Ort „that host[s] regular, voluntary, informal, and happily anticipated gatherings of individuals beyond the realms of home and work” (Oldenburg 1997: 16, zitiert in Hamilton et al. 2014: 1318).
Das Dissertationsprojekt soll einerseits an dieser Definition von Hamilton et al. (2014) anknüpfen, in welcher Twitch als „third place“ kategorisiert wird. Ethnographisch erhobene Resultate sollen dabei jedoch auch durch die Analyse der sprachlichen bzw. schriftlichen Ebene erweitert werden, um der Frage nachzugehen, wie sich die Entstehung oder Festigung und die Zugehörigkeit zu einer spezifischen Community auf linguistischer Ebene zeigen kann.
Nebst den von Twitch angebotenen Kommunikationskanälen nutzen manche Streamer während ihrer Übertragung gleichzeitig auch Kommunikationsangebote von Drittprogrammen und Plattformen, wie zum Beispiel TeamSpeak und Twitter, auf welche während des Live-Streams hingewiesen wird bzw. durch die ebenfalls mit potentiellen Zuschauern kommuniziert wird. Die Streamer können beispielsweise das Geschehen im Spiel durch den auditiven Input in ein Mikrofon kommentieren, gesprochene Antworten auf die Chatfragen auf Twitch geben oder auch mit anderen Spielern oder sonstigen Mitgliedern via TeamSpeak sprechen, wobei diese Interaktionen ebenfalls via Twitch für alle Zuschauer hörbar sein können. Diese Nutzung verschiedener Kommunikationskanäle kann schliesslich dazu führen, dass sich die Streamer während ihrer Liveübertragung kontinuierlich zwischen verschiedenen Plattformen und Räumen hin- und her bewegen.
Infolgedessen stellen sich nebst rein kommunikationsbezogenen Fragestellungen für die Untersuchung einer Mixed-Media-Umgebung auch Fragen hinsichtlich des Raumbezugs, der Raumüberlagerung und der Raumnutzung der verschiedenen physischen und virtuellen Räume. Als Beispiel können hier die Streamer genannt werden, welche sich zum Zeitpunkt der Übertragung in einer physischen Umgebung befinden und sich selbst dabei filmen, wie sie ein Videospiel spielen. Bei dieser Übertragung des Selbstbildes auf die Streamingplattform geschieht dann nebst der Digitalisierung gleich eine weitere Modifikation des physischen Raums. Während einige Streamer das gesamte rechteckige Bild, dass von ihrer Webcam aufgezeichnet wird, über das Video-Game-Fenster legen, positionieren sich andere vor einem so genannten Greenscreen und modifizieren die Bildübertragung so, dass nur sie und spezifisch ausgewählten Objekte im physischen Raum als Überlagerung sichtbar sind. Weiter werden zuweilen auch Drittprogramme genutzt, welche ebenfalls über den Game-Stream gelegt werden können und beispielsweise Statistiken bezüglich Abonnenten, Followern etc. anzeigen. Das was die Zuschauer schliesslich als Endprodukt im Videofenster zu sehen bekommen, ist meist eine modifizierte Version eines virtuellen Raums, welcher aus mehreren Ebenen besteht, die einander überlagern. Folglich können sowohl Webcastproduzenten als auch die Rezipienten also in ihren kommunikativen Handlungen auf einen oder mehrere Räume gleichzeitig Bezug nehmen und diese gegebenenfalls spezifisch nutzen.
Als Datengrundlage der Untersuchung dienen primär die Livestreams auf Twitch inklusive dem auf der Homepage integrierten Chat und sekundär die Übertragungen bzw. Beiträge via TeamSpeak. Die Datensammlung besteht darin, dass die Beiträge von ein bis zwei englischsprachigen Streamern über einen bestimmten Zeitraum zu den jeweiligen Streamingzeiten aufgezeichnet werden. Für die Datenaufbereitung werden anschliessend die linguistischen Inhalte der Beiträge transkribiert, sowie Gestik, Blickrichtung und Körper- bzw. Avatarposition der Streamer vermerkt, um so ein schriftliches Korpus zu erhalten, welches zusammen mit dem audio-visuellen Material die Basis für die qualitative Analyse bilden soll. Dabei sollen nebst ethnografischen Methoden auch Methoden der Konversationsanalyse (vgl. Sacks 1992; Schegloff 2002 [1970], 2007) und der (multimodalen) Diskursanalyse (vgl. Baldry / Thibault 2006; Kress / van Leeuwen 2001) beigezogen werden. Zu den weiteren Konzepten, welche für die Untersuchung von Bedeutung sind, zählen unter anderem Computer-Mediated-Communication (vgl. Georgakopoulou 2011; Herring 2007), Chatspeak (vgl. Cherny 1999), Space in Interaction (vgl. Hausendorf 2013), Space in Computer-Mediated-Communication (vgl. Beisswenger 2013) und Audience Design (vgl. Bell 1991; Goodwin 1986).
Betreuung: Christa Dürscheid, Andreas Jucker
Finanzierung: UFSP Sprache und Raum
Baldry, Anthony P. / Thibault, Paul J. (2006): Multimodal Transcription and Text Analysis. A Multimedia Toolkit with Associated On-Line Course. London: Equinox.
Beisswenger, Michael (2013): Space in Computer-Mediated Communication: Corpus-Based Investigations on the Use of Local Deictics in Chats. In: Auer, P. / Hilpert, M. / Stukenbrock, A. / Szmrecsanyi, B. (Hrsg.): Space in Language and Linguistics. Geographical, Interactional, and Cognitive Perspectives. Berlin: de Gruyter, 494–528.
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Smith, Thomas P. B. / Obrist, Marianna / Wright, Peter (2013): Live-Streaming Changes the (Video) Game. Proceedings of the 11th European Conference on Interactive TV and Video (EuroITV ’13). Online unter: http://dl.acm.org/citation.cfm?id=2465971 (konsultiert am 25. Februar 2015).