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UZH / Bild: Ursula Meisser - Switzerland
Werkstatt-Tagung, 9. bis 14. September 2024
Tagungszentrum Villa Garbald, Bergell (GR): Link
Programm: PDF Download (PDF, 126 KB)
Das Zusammenspiel von Raum, Architektur und Sprache gehört zu den produktivsten Konfigurationen der westlichen Kultur- und Geistesgeschichte. Seit der Antike sind daran immer wieder neue typische Handlungsformen und Denkmodelle entwickelt worden: vom griechischen Theater und der römischen Rhetorik über die mittelalterliche Universität und die frühneuzeitliche Gedächtniskunst bis zur modernen Buchkultur und Theoriebildung (vgl. Formalismus, Strukturalismus, Dekonstruktion), um nur einige wenige typische ,Anwendungsfelder‘ zu nennen. Im späten 20. Jahrhundert führte das mit dem so genannten spatial turn zu einem der jüngsten großen Paradigmenwechsel in den Sozial- und Humanwissenschaften der Gegenwart. Diese fundamentale kulturelle Relevanz und konzeptuelle Produktivität der Kooperation von Bauen, Sprechen und Schreiben bildet die gemeinsame Interessenbasis unserer Werkstatt-Tagung, die literatur- und sprachwissenschaftliche Perspektiven und Expertisen zusammenbringen soll. Das Zusammenspiel von Raum, Architektur und Sprache hat in der Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft jeweils unterschiedliche Traditionen und Akzentuierungen erfahren, die wir im Austausch mit den den wichtigsten Nachbardisziplinen zusammenführen und in ihrem disziplinübergreifenden Potenzial weiter erkunden möchten.
Die Literaturwissenschaft hat von der architektonisch inspirierten Postmoderne (Dekonstruktion) und vom raumtheoretischen spatial turn entscheidende Impulse für die Entwicklung ihrer philologisch-hermeneutischen zu einer medien- und kulturwissenschaftlichen Methodik erhalten. Literarische Texte werden nun tendenziell nicht mehr als immaterielle Träger geistiger Realitäten (,Ideen‘) gelesen, sondern als Handlungszusammenhänge, die sich in konkreten kulturellen Räumen mit ihren materiellen Bedingungen und sozialen Konsequenzen vollziehen. Für ihre performativen Praktiken hat sich in der Geschichte der Literatur eine Reihe von typischen Medien (vom autografen Manuskript über das gedruckte Buch bis zur digitalen VR-Umgebung) herausgebildet, die auf bestimmte räumliche und architektonische Realitäten abgestimmt sind und ohne diese weder produziert noch rezipiert werden können. Diese materiellen und medialen Bedingungen sind der Literatur weder als technische Voraussetzung vor- noch als gesellschaftlich-politische Wirkung nachgeordnet, und sie finden sich auch nicht als bloße Themen oder Motive in ihr wieder; vielmehr sind sie der gesprochenen oder geschriebenen Wirklichkeit ihrer Texte als Bauprinzip immer schon eingeschrieben. Dies führt umgekehrt auch zu einem diskursiv erweiterten Architekturbegriff, der das Gesprochene und Geschriebene zu dem von und in einer Gesellschaft Gebauten oder Geplanten konstitutiv mit dazu rechnet.
Die Linguistik hat dem Raum in den letzten rund 15 Jahren vermehrt auch Aufmerksamkeit ausserhalb der traditionell raumfokussierten Forschung (in Disziplinen wie der Dialektologie oder der Sprachgeographie) geschenkt und damit in gewisser Weise den spatial turn für sich nachgeholt. Der Raum ist damit weniger als gegebene Grösse und mehr und mehr als eine sprachlich-kommunikativ mitkonstituierte Errungenschaft in den Blick gekommen. Beispielhaft dafür ist die Entdeckung des Interaktionsraums als einer durch Prozesse der Ko-Orientierung, Ko-Ordination und Ko-Operation der Interaktionsbeteiligten immer wieder neu zu leistenden Hervorbringung. Damit ist neben der Sprache und den Körpern der Beteiligten auch die Gestaltung des Raumes durch Architektur (wieder) zum Thema geworden. Kopräsenz im Sinne humanspezifischer Körperlichkeit, natürliche Sprachen und Architektur im weiten Sinne der gebauten und gestalteten Umgebung sind als Ressourcen der Situierung profiliert worden, auf deren Grundlage sich Interaktion unter Anwesenden auf höchst ökonomische und effektive Weise im Raum verankern kann.
Auf die Prozesse der Materialisierung, Medialisierung, körperlichen Performativität und Situierung im Wirkungsfeld zwischen Raum, Architektur und Sprache kann auf unterschiedliche Weise und aus interdisziplinär unterschiedlichen Richtungen zugegriffen werden. Diese vielfältigen Wirkungsmodi und methodischen Ansatzmöglichkeiten sollen auf der Tagung in exemplarischen Fallstudien aus möglichst verschiedenen fachwissenschaftlichen und handlungspraktischen Bereichen zur Diskussion gestellt werden. Aus einer nicht abgeschlossenen Liste mit möglichen interdisziplinären Schnittpunkten aus dem Themenfeld von Raum, Architektur und Sprache sind aus der Sicht der Organisatoren insbesondere relevant:
Die Werkstatt-Tagung wird zweisprachig (Deutsch und Englisch) durchgeführt und ist als offener Diskussionsraum zwischen jüngeren und fortgeschrittenen Forschenden angelegt. Neben klassischen Vorträgen (30 Minuten Redezeit + 30 Minuten Diskussion) sind partizipative Präsentationen von Materialien und Daten (90 Minuten) vorgesehen.
Publikation CfP: 1.9.2023
Einsendeschluss: 15.11.2023
Bewerbungen: Abstracts (1/2 Seite A4, inkl. 5 Keywords) und CV (inkl. Publikationsliste) sind in einem integrierten PDF-Dokument zu richten an Frau Béatrice Fleiner, beatrice.fleiner@ds.uzh.ch
Benachrichtigung: Anfang Dezember 2023
Die Ausschreibung wendet sich an Nachwuchsforschende aus den folgenden Disziplinen mit einem speziellen Interesse an einschlägigen interdisziplinären Schnittstellen: Literatur- und Sprachwissenschaften (philologieübergreifend), Architekturtheorie und -geschichte, Architektursemiotik und -soziologie, Kunst-, Kultur- und Mediengeschichte.